TRIBE-NOTES 02/24 – Die Wiederholung des ewig Neuen

KANN MAN HEIMWEH NACH EINER TIEFEN SEHNSUCHT HABEN? Es geht wie immer um das Meer. Um eine Lieblingsstadt im Regen. Und ein bedeutungsvolles Zeichen mit drei Herzen und acht Armen.

Es war ein Sommer in Pesaro, den ich wie vergilbte Polaroids in selbstklebenden Fotoalben vor Augen habe. Ich muss 10 oder 11 Jahre alt gewesen sein.

3 Wochen in einem Sommer-Camp. Man nannte es ‚auf Erholung fahren‘. Es gab zwar nichts, von dem ich mich erholen musste, aber egal.

Die lange Zugreise endete in einem von jeglichem Charme befreiten Gebäude. Doch es lag direkt am Meer. So schlimm konnte es also nicht werden.

An jedem zweiten Tag wurden große Schüsseln mit Spaghetti Bolognese auf die langen Tische gestellt. Unverträglichkeiten und Ernährungsvorlieben ignorierte man damals. Am Strand wurden wir mit grellgrünem Olivenöl eingerieben, ich weiß bis heute nicht warum.

Die älteren Mädchen, die ein bisschen wie Nena aussahen und auf dem Markt Latzhosen von ihrem Taschengeld kaufen wollten, waren mir egal. Auch der eine Junge, der mir von seinem Ausflug aus Rimini einen Zauberwürfel mitbrachte, war mir egal. Ich tauschte den Würfel am nächsten Tag gegen die verspiegelte Sonnenbrille meiner Bettnachbarin. Und fühlte mich nicht mal schlecht dabei.

An den Sonntagen meldete ich mich freiwillig, um die Nachmittagsjause zu holen und über die Straße zum Strand zu bringen. So konnte ich auf dem Weg schon drei Scheiben des Brioche-Gebäcks essen, bevor sich die anderen hungrigen Mäuler über die einzig verfügbare Köstlichkeit hermachten.

Ich erinnere mich an die aneinandergereihten Schlafsäle mit ihren ausgehängten Türen – um so etwas wie Privatsphäre auch gleich mit aus ihren Angeln zu heben. Es gab da auch diesen einen Schlafsaal gleich neben den Toiletten, in dem die Mädchen ständig weinten. Einmal versuchte ich beim Vorbeigehen den Grund dafür herauszufinden, doch die herumstehenden Kinder, die alle größer und älter waren als ich, versperrten mir die Sicht. Ich fragte in das Knäuel aus Menschen, was die Mädchen denn haben. Irgendeine Stimme antwortete mir: Heimweh.

Das war das erste Mal, dass ich dieses Wort hörte, ohne mir auch nur annähernd etwas darunter vorstellen zu können. Ok, dieses Camp glich mehr einem Gefängnis als einem Luxusresort. Auch das Essen schmeckte daheim sicher besser. Aber warum weinen – wir sind doch am Meer?

Ich weiß nicht, ob ich diese Geschichte schon mal erzählt habe, ich hatte es gar nicht vor. Aber irgendwie wollte sie gerade ans Tageslicht, weil ich mich 40 Jahre später immer noch frage, was dieses Heimweh eigentlich sein soll.

Ich frage mich, wie man am Meer überhaupt Heimweh haben kann. Schließlich ist man ja schon da, wo man ursprünglich herkommt.

Wenn du keine Wiederholungen magst, solltest du jetzt nicht weiterlesen.

Wenn du denkst „Jetzt kommt sie zum tausendsten Mal mit ihren Meer-Geschichten um die Ecke“ – tut mir leid, ich kann nicht anders.

Mit dem Geschichten erzählen, ist es wie mit der Kunst. Man macht es für sich selbst, nicht für die anderen. Ich bin da mit Beuys, Rubin & Bowie absolut einer Meinung.

Ich bin nicht hier, um zufällig Vorbeikommende zu unterhalten. Ich bin hier, um das, was mich bewegt, in Worte zu fassen.

Schön, aber auch ungeschönt. Wahrhaftig und echt. Anders funktioniert das nicht.

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass du genau aus diesem Grund hier bist. Du gehörst zum Tribe. Und du verstehst, wovon ich rede.

Der Tribe, das sind wir. Und wir lieben das Meer, nicht wahr?

Wir lieben den Blick auf den Horizont. Vielleicht ist es auch einfach die Weite, nach der wir uns sehnen.

Jedes Mal, wenn ich mir den Ellenbogen an der Badezimmertür oder das Schienbein an der Bettkante blau schlage, denke ich: Ich brauche mehr Platz.

Ich brauche Raum, der mich nicht begrenzt. Ich will bis zum bitteren Ende tanzen. Und bis zum äußersten Punkt sehen können.

Ich bin also wieder einmal dieser Sehnsucht gefolgt und an den Atlantik gefahren. Und ja, ich wiederhole mich, denn dasselbe habe ich auch schon im letzten Jahr zur selben Zeit getan…

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Kategorie: Boutique-Hotel

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TRIBE-NOTES 01/24 – Eine vage Idee vom Nichtstun