TRIBE-NOTES 01/24 – Eine vage Idee vom Nichtstun

MEER ODER BERGE? DIESE EWIGE FRAGE KÖNNTE ICH 2024 ALS ANSATZWEISE GELÖST BETRACHTEN. Eine andere: Zählt das Lesen eines Buches zum Nichtstun? Und noch eine: Sollte man die Sache mit dem Nichtstun endlich lernen – oder aufgeben? Sogar am ruhigsten Ort der Welt mache ich mir zu viele Gedanken.

2024 möchte ich mehr Platz für das Neue machen.

Neue Möglichkeiten, andere Blinkwinkel, größere Träume.

Ich will das Gewohnte nicht unbedingt recyceln.

Und ich will auch kein Murmeltier, das mich täglich grüßt.

Wenn du meine letzten Tribe-Notes gelesen hast, weißt du, dass ich mich zum Beispiel gerade mit den Bergen anfreunde. Dazu kommt das Nichtstun, das ich besser lernen möchte. Wobei mir das mit den Bergen vermutlich leichter gelingen wird.

Heißt nicht, dass mir das Meer nicht mehr wichtig wäre.

Nur manchmal ist UND das bessere ODER.

Denn wenn ich daran denke, dass ich in ein paar Tagen wieder staunend am Atlantik stehen, das Salz auf der Haut spüren und den Horizont anhimmeln werde, ist es so als würde ich eine vertraute Liebe wiedertreffen, die dort auf mich wartet. Immer.

Meer. Das klingt nach Unendlichkeit. Nach Bedingungslosigkeit. Nach Transformation. Und nach Erhabenheit. Nach der Essenz von allem, was atmet, sich bewegt oder in irgendeiner Form lebendig ist.

Es klingt aber auch nach ‚mehr‘.

Nach MEHR wollen, MEHR tun und MEHR sein.

Und da liegt das Problem. Mein Problem. Ich bin das Problem. Nicht nur Taylor Swift hat eines.

Ich mag keine Durchschnittlichkeit. Und keine Sätze wie „passt schon“ oder „wird schon irgendwie gehen“.

Ich hab’s nicht so mit der Dankbarkeit und auch nicht mit der Zufriedenheit. Ich mag das Überschwängliche, das Besondere. Alles, was keiner Norm entspricht und in keine Schublade passt.

Und obwohl das so ist, lebe ich ein relativ ‚normales‘ Leben. Wobei: Normal gibt es nicht. Gabor Maté hat ein ganzes Buch darüber geschrieben.

Und ich meines immer noch nicht. Aber 2024 wird es so weit sein. Ganz bestimmt.

Bis dahin lese ich einfach andere Bücher. Weil ich ja das Nichtstun lernen möchte. Und ein Buch zu lesen, fällt für mich in diese Kategorie.

Wobei: nicht so ganz. Denn ich lese den Titel, den Klappentext, die AutorInnen-Beschreibung. Ich lese die erste und die letzte Seite, damit ich vorweg weiß, ob sich das, was dazwischensteht, überhaupt lohnt. Und anstatt einfach nur Zeile für Zeile zu genießen, beginne ich nachzudenken.

Als ich letzte Woche in die Kärntner Berge gefahren bin, hatte ich Ferdinand von Schirachs ‘Nachmittage’ mit dabei. Ein leichtes, handliches Buch, das man überall mitnehmen kann.

Ich dachte: Zwischendurch etwas lesen. Einfach mal nichts tun.

Was ich wirklich dachte: Auch wenn der Autor für sein herausragendes Werk so gelobt wird, ist das, was da geschrieben steht, ja nun wirklich keine große Sache. Aneinandergereihte Reisegeschichten. Damit könnte ich genauso ganz schnell ein ganzes Büchlein füllen:

Ich könnte über CURAÇAO schreiben. Den längst vergessenen und fürs Universum nicht gut genug ausformulierten Wunsch, einmal dort zu landen. Genau genommen tat ich das auch, doch statt am Strand Cocktails zu trinken, habe ich eine lange Nacht mit römischen Nonnen ausschließlich am Flughafen verbracht.

Ich könnte über die erhellende Erkenntnis schreiben, dass man die MALEDIVEN am besten allein bereist. Weil mir selten eine höhere Dichte an streitenden Paaren untergekommen ist.

Oder ich könnte von MAURITIUS erzählen, von diesem Typen, der mein Gepäck enthusiastisch in Richtung Flughafen schob und dabei seinen innigsten Traum mit mir teilte: einmal im Leben selbst in ein Flugzeug zu steigen, um etwas von dieser anderen, fernen Welt zu erfahren.

Easy. Genug Geschichten für ein Buch. Ehrliche. Rührselige. Unglaubliche. Geschrieben wäre das alles locker an einem Nachmittag.

Meine wichtigste (Lebens-)Geschichte, die ich noch fertig aufschreiben ‚muss‘, ist allerdings weitaus komplexer. Mehr ‚Ulysses‘ als ‚Nachmittage‘. Mehr Drama als leichte Unterhaltung. Doch vielleicht war die Zeit bisher noch nicht reif, weil ich erst mehr Abstand vom Geschehenen gewinnen musste.

Hemingway sagt: ‚Man muss erst höllisch gelitten haben, um wirklich schreiben zu können.‘

Das habe ich in Ferdinand von Schirachs Buchs gelesen. Es scheint, ich habe dieses Buch genau deshalb gekauft und mitgenommen, um im richtigen Moment diesen einen Satz darin zu lesen.

Möglicherweise sind manche Bücher gar nicht dazu da, von vorne bis hinten gelesen zu werden. Vielleicht enthalten manche Bücher nur diese eine wichtige Botschaft für diesen einen Menschen, der genau an dieser einen Stelle hängenbleibt, die einen neue Richtung, einen unvorhersehbaren Gedanken in ihm bewirkt.

Das alles passierte an meinem wunderbar abgelegenen Lieblingsplatz, dem Biohotel Der Daberer im Gailtal. Es gibt kein Wifi in den Zimmern, was Fluch und Segen zugleich ist, aber ein guter Einstieg für das Vorhaben NICHTSTUN. Zumindest dann, wenn man nicht gerade leidenschaftlich damit beschäftigt ist, eine Yogagruppe mit den Weisheiten von Yin & Yang durch die Woche zu führen.

Um aber jetzt den Bogen zurück zu den BERGEN und damit zur aktuellen Jahreszeit, dem WINTER – für beides habe ich bis dato noch keinen Fanclub eröffnet – zu schaffen:

Eines Nachmittags – da ist er wieder, der Titel von Schirachs Buch – habe ich in der Daberer-Bibliothek gestöbert und die Langsamkeit gespürt, die sanft über mich hereinbrach. Im Hintergund knisterte das Feuer im Kamin. Ich zog willkürlich ein Buch nach dem anderen aus dem Regal.

Titel. Klappentext. Autorin. Anfang und Ende.

Dann fiel mir dieses Buch mit dem Meer auf dem Cover in die Hände. Ein leichtfüßiges Buch, das man nicht unbedingt gelesen haben muss. Dennoch blieb mein Blick auf den letzten Zeilen am inneren Buchdeckel hängen:

Wo war er hin, dieser Sommer? Dieser wunderbare, großartige Sommer, der ein Leben lang dauern sollte? Der Sommer unseres Lebens. Der Sommer meines Lebens?‘

Keine besonders geistreiche Wortwahl, aber egal, darum geht es nicht. Ich habe so etwas in der Art schon oft gelesen und mich gefragt, ob irgendjemand dasselbe jemals über den Winter geschrieben hat? Ich glaube kaum. Ich habe jedenfalls noch nie von diesem ‚wunderbaren Winter unseres Lebens‘ gelesen, von dem wir uns gewünscht hätten, dass er ewig dauert.

Daraus schließe ich: Die beste Zeit unseres Lebens haben wir mit sehr großer Wahrscheinlichkeit irgendwo zwischen Juni und September! Und bestimmt nicht an einem nebeligen Januar-Tag.

Und unsere Essenz spüren wir dann doch eher am Meer als in den Bergen. Da wo wir irgendwann vor Millionen von Jahren hergekommen sind.

Gut, wir müssen fairerweise sagen: Auch in den Bergen steckt ganz viel Meer.

Was mich betrifft, dabei bleibe ich: Nichts kann das MEER und den SOMMER toppen!

Und trotzdem setze ich die BERGE auf meine Liste für das Neue.

Und das NICHTSTUN auch. Neues Futter für das ewig gleiche Murmeltier.  

Allerdings bezweifle ich, dass mich das Nichtstun mal so vereinnahmen könnte, dass ich nicht mehr über alles Mögliche und Unmögliche nachdenken werde. Auch nicht, dass ich vor lauter Zufriedenheit aufhören werde, meine Lieblingsorte zu bereisen. Ich denke auch nicht, dass ich je aufhöre, meine Gedanken aufzuschreiben.

Schreiben ist mein Leben.

Schreiben macht mich klar, ruhig und zuversichtlich.

Es ist vermutlich die Sache, die mich schon am längsten begleitet und die mich im Grunde auch ausmacht. So wie die 75 Prozent Wasser in meinem Körper. Manches ist einfach wie es ist, ohne dass man es verändern könnte.

Ich habe vor einiger Zeit mit einem neuen Ritual begonnen: morgens drei Seiten über alles schreiben, was gerade daherkommt. Die Morning-Pages sind eine Empfehlung aus dem Buch ‘The Artist’s Way’ von Julia Cameron, um dem kreativen Strom ein Ventil nach draußen zu geben. Die Zeilen müssen keinen Sinn ergeben und sind nur für einen selbst gedacht. Deshalb fällt die Übung unter ‚Kunst‘.

Rick Rubin sagt, wenn man für sich selbst schreibt, malt, Filme dreht oder Musik macht, ist es Kunst. Wenn man dasselbe für andere macht, ist es Kommerz.

Ich mag diesen Rick, der so anders ist als diese Coaches, Influencer & Entrepreneure, die sich sonst so im Netz herumtreiben. Ich denke, er macht sich nicht viel aus dem, was andere sagen. Und das, was er selbst sagt – und auch nur deshalb, weil er ständig gefragt wird – strotzt vor überzeugender Klarheit und deckt das gesamte Spektrum zwischen Kreativität und Spiritualität ab. Er hat ein Buch geschrieben: ‘The Creative Act: A way of being.’ Ich habe es nur wegen dem schlicht-schönen Einband gekauft und später erst bemerkt, dass der coole Rick dahintersteckt.

Ein spannender Typ, dieser Rick Rubins. Ich kenne keinen, der so hyperentspannt aus dem Rahmen fällt. Es sollte mehr Rick Rubins geben.

Die Tribe-Notes schreibe ich in erster Linie für mich selbst. Mehr Kunst als Kommerz also. Jedes Mal, wenn ich zu schreiben beginne, habe ich keine Ahnung, wohin das führen wird. Ich wusste anfangs noch nicht, dass mein Geplänkel über die Berge und das Nichtstun bei Rick Rubins enden würde.

Ich mag diesen Prozess. Vor einem weißen Blatt Papier (oder Word-Dokument ;) sitzen und das Unterbewusste anzapfen. Alles, was da ist, einfach der Reihe nach kommen lassen. So wie Taryn Toomey in ihrem The Class-Studio in New York mit rauchiger Stimme ständig ‚C’mon…whatelse?‘ in ihr Headset brüllt. Nach dem Motto: Lass es raus! Das kann doch längst nicht alles gewesen sein, was dich gerade beschäftigt! Ich mag das! Ich mag Taryn.

Würde ich mit ihr und Rick in einem Fahrstuhl feststecken, wäre das mein Glückstag und DIE Gelegenheit für fantastische Gespräche!

Auch meine Tribe-Notes folgen ein bisschen diesem ‚Whatelse?‘-Gedanken.

Da kollidiert das Banale mit dem Außergewöhnlichen. Das vermeintlich Fade mit dem Spektakulären. Und irgendwo kommt dann der Punkt, wo du dich als LeserIn einklinkst.

Wo du nickst, wo du dich angesprochen fühlst, wo du dasselbe denkst und vielleicht sogar dankbar dafür bist, dass es jemand aufgeschrieben hat.

Kann auch sein, dass du etwas aufgreifst, was ich in den Tribe-Notes erwähne – einen Ort, einen Gedanken, einen Menschen. Den Daberer, das Nichtstun oder Taryn Toomey. Das ist wohl die Idee und Magie dahinter.

Deshalb bin ich hier. Und deshalb bist du hier. Die, die nicht nach dem ‚Whatelse?‘ fragen, haben wir schon nach dem ersten Absatz verloren.

Vielleicht gibt es ja Menschen, denen das Nichtstun und das Nichtdenken leichter fällt als uns. Weil sie nicht alles in Frage stellen und nicht in der Tiefe herumgraben.

Aber es muss wohl auch die Menschen geben, deren Auftrag es ist, etwas von innen heraus zu erschaffen, ständig etwas Neues in die Welt zu bringen und inspirierende Gedanken weiterzutragen.

Ganz ehrlich: Wenn ich mir meine Love-To-Do’s und meine für 2024 geplanten Retreats und Projekte so anschaue, dann wird das mit dem NICHTSTUN vermutlich nichts.

Weil das TUN einfach zu viel Freude macht.

Aber die Sache mit den BERGEN – die bleibt weiterhin im Rennen!

Ich werde nächste Woche am MEER mal darüber nachdenken, wie ich diesen Vorsatz 2024 am besten verwirkliche… ;)

xo, Jeanette

IN DIE FERNE

  • BIOHOTEL DER DABERER – Ein ziemlich versteckter Ort im Kärntner Gailtal, an dem das Nichtstun gut gelingen könnte.

  • RETREAT-TERMINE 2024 – Yoga an meinen Lieblingsplätzen in Salzburg, Kreta & an der Algarve – Nicht nichts tun, aber weniger TUN, mehr SEIN!

IN DIE TIEFE

  • FERDINAND VON SCHIRACH – In seinem Buch ‘Nachmittage’ erzählt der Autor von Begegnungen in Tokio, Pamplona, Marrakesch oder Zürich. Ich lese solche Geschichten am liebsten, wenn ich selbst auf Reisen bin.

  • DR. GABOR MATÉ – Wer sich mit dem Menschsein beschäftigt, sollte sich auch mit Matés Büchern beschäftigen. Das neueste: ‘The Myth of Normal’

  • JULIA CAMERON – Julias Website ist ein veraltetes Urgestein – für mich ein Zeichen, dass die Botschaft wichtiger als die Vermarktung ist! ‘The Artist’s Way’ ist ein Buch-Klassiker für kreative Menschen. Also: für ALLE Menschen. Rick Rubin kann dir das am besten erklären.

  • RICK RUBIN – Wer ihn noch nicht kennt, bekommt bei diesem Podcast-Gespräch mit Jay Shetty einen guten Eindruck. Sein Buch ‘The Creative Act’ macht sich gut auf jedem Coffeetable, man sollte es aber auch lesen.

  • TARYN TOOMEY – Ich bin ein absoluter Fan der THE CLASS-Gründerin. Sämtliche Celebrities zwischen NYC und L.A. übrigens auch. Die kartharsischen Online-Workouts kann man auf jede Reise mitnehmen. Sofern man WIFI hat.

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TRIBE-NOTES 02/24 – Die Wiederholung des ewig Neuen